Leben und leben lassen
Botschaft vom 02.02.2020 – von Stefan Andromis Herbert
Ich bin schon immer sehr daran interessiert gewesen, wie sich die Gesellschaft, in der wir leben, entwickelt. Aus der Alltags-Sicht könnte derzeit der Eindruck entstehen, dass sie sich wegen zunehmendem Antisemitismus aggressiven Meinungsäußerungen, wütenden Angriffen gegen Politiker, Rettungskräfte, etc. eher zurückentwickelt.
Aus einer höheren Sicht betrachtet, sieht es für mich anders aus, denn in dieser Zeit werden bisher unterdrückte oder verborgene Schattenseiten der Gesellschaft oder Schattenaspekte des Menschen nur deutlicher sichtbar. Sie sind deshalb nicht neu, sondern schon immer dagewesen. Sie kommen nur jetzt an die Oberfläche, damit sie wahrnehmen, bearbeiten und erlöst werden können.
Ich bewerte es deshalb nicht als negativ, wenn Wut, Hass und tiefe Ängste ans Tageslicht kommen. Entscheidender ist für mich die Frage, wie geht die Gesellschaft damit um. Lässt sich von der Aggressivität und der Wut verängstigen und zieht sich zurück? Oder ist sie in der Lage zu erkennen, was da geschieht und kann daraus lernen?
Gleichzeitig ist die Art und Weise, wie einzelne Menschen oder auch die Gesellschaft als Kollektiv mit den Meinungen Andersdenkender umgeht, ein wertvoller Gradmesser der Bewusstheit. Jeder Mensch ist anders und hat darum auch seine individuellen Lebenseinstellungen und Ansichten. Daraus folgt für mich, dass es keine richtigen oder falschen Meinungen gibt, sondern nur „andere“ Meinungen.
Diese eigene Sichtweise ist geprägt durch unser Umfeld und durch unsere individuellen Vorlieben. Aus dem Wissen, welches wir uns angeeignet haben, erfahren wir Erkenntnisse, aus denen heraus wir unsere Entscheidungen treffen. Wir treffen auch immer die für uns bestmöglichen Entscheidungen, ansonsten hätten wir es anders gemacht. Dies gilt zu jedem Zeitpunkt in unserem Leben und zu allem, was wir sagen, wie wir es sagen oder was wir tun.
Da jeder Mensch aufgrund seiner Erfahrungen ein individuelles und einzigartiges Wesen ist, ist es für mich wichtig, jeden in seiner Lebensweise und seinen Weltanschauungen zu respektieren und zu achten. Da seine Erfahrungen nicht die meinigen sind, habe ich nicht das Recht, ihn für seine Verhaltensweisen zu kritisieren oder zu verurteilen.
Wenn wir unsere Ansichten und Meinungen mit anderen Menschen teilen, spielt natürlich auch ein emotionaler Aspekt mit hinein. Wir sind halt alle Menschen mit einem Bedürfnis nach Anerkennung und Aufmerksamkeit. Deshalb sind diese Emotionen neben dem, was wir inhaltlich rüberbringen wollen, ein entscheidender Bestandteil unserer Kommunikation.
Das kann problematisch sein, wenn es keinen direkten Kontakt zum Gesprächspartner gibt, sondern nur über Medien, wie Zeitungen, über Emails oder soziale Netzwerke miteinander kommuniziert wird. In diesen Situationen sehen wir einander nicht. Wir schauen uns nicht in die Augen und nehmen den Menschen nicht direkt wahr, mit dem wir uns gerade austauschen oder dem wir unsere Meinung sagen wollen. Dadurch können auf der emotionalen Ebene leicht Missverständnisse entstehen.
Mir kommt es auch so vor, als ob sich die Menschen schneller persönlich betroffen fühlen, als früher. Das gilt nicht nur, wenn es um die eigene Meinung oder die die eigene Lebensweise geht, sondern betriff auch jene Dinge, mit denen wir uns identifizieren. Diese Identifikationen sind wichtig. Sie geben uns in unserem Leben Halt und helfen uns dabei, uns weiterzuentwickeln und bewusster zu werden.
Als Kleinkind beginnen wir, uns mit unserem Geschlecht als Junge oder Mädchen zu identifizieren, mit unseren Eltern und mit unseren Geschwistern. Später auch mit dem Ort in dem wir leben, mit einem Verein oder einer Sportart, mit einer Musikrichtung, einer Band, dann auch mit dem Land, mit einem Beruf, mit einer Firma in der wir arbeiten, und so weiter.
Je stärker wir uns mit etwas identifizieren, desto leichter werden wir wütend oder reagieren beleidigend, wenn über das, was uns so wichtig ist, schlecht geredet oder dies gar verurteilt wird. Dabei handelt es bei solchen negativen Meinungsäußerungen in der Regel um Verallgemeinerungen und Pauschalisierungen, die ja nicht wirklich auf alle zutreffen. Ein Beispiel: Männer denken nur an das eine, Frau zicken herum.
Da man bei diesen Aussagen das Wörtchen „alle“ voransetzen kann, werden alle Menschen, auf die es sich bezieht, pauschal verurteilt. Somit ist es nachvollziehbar, wenn wir emotional betroffen reagieren. Diese Pauschalisierung schiebt alle Männer in die eine Schublade und alle Frauen in die andere. Da wir aber, wie schon erwähnt, sehr individuell sind, sind wir auch sehr individuelle Männer und Frauen, die sich oftmals nicht in diese Schubladen einordnen lassen.
Dann ist da die Frage, was verletzt uns oder was macht uns wütend? Wenn wir tiefer in uns hineinspüren, würden wir sicherlich feststellen, dass es nicht um die eine andere Person geht, sondern es ist unsere eigene Verletzung. Es geht in Wirklichkeit um uns selbst, um unsere eigene Wut, unseren eigenen Frust oder Minderwertigkeitsgefühl. Es ist unsere eigene seelische Wunde, die berührt worden ist.
Dies gilt für mich besonders bei fremdenfeindlichen Äußerungen. Aus meiner Sicht richtet sie sich nicht auf die jeweilige Hautfarbe, das Herkunftsland oder die Religion, sondern die Ursache ist eine Angst vor unseren eigenen Schattenaspekten. Allerdings ist es leichter, mit dem Finger auf einen Menschen zu zeigen, der bei mir diese Angst auslöst, als zu erkennen, dass dabei gleichzeitig drei Finger auf mich selbst zurückzeigen.
Verständlicherweise verdrängen wir diese Themen lieber, denn wer mag sich schon mit den eigenen Wunden beschäftigen? Schließlich schmerzen sie uns so sehr, dass wir sie verdrängten und mit Emotionen, wie Wut, Ärger oder Hass überdecken, um sie nicht fühlen zu müssen. Doch, wenn wir uns nicht mit ihnen bewusst auseinandersetzen, können wir sie nicht heilen und erlösen.
Deshalb sind Menschen, die bei uns Ängste, Wut, Neid, Hass und andere Emotionen auslösen, ein wertvoller Spiegel für unsere eigene Bewusstwerdung. Denn sie bringen uns weiter auf unserem Weg zu mehr Liebe und Bewusstheit. In dem wir dies erkennen, können wir ihnen sogar dankbar sein.
Wenn diese Emotionen bei uns allerdings weiterhin unbehandelt bleiben, treffen die anderen Menschen weiterhin in diese Wunden und lösen immer wieder das gleiche Muster aus. Wir vermögen auch erst dann weniger emotional zu reagieren, wenn wir uns dieses Musters gewahr werden. Dann können wir innerlich abwägen, wie wir ab sofort auf solche Situationen reagieren möchten.
Vielleicht stellen wir fest, dass wir nicht auf alles, was geschieht, antworten müssen und dass es nicht nötig ist, überall unseren „Senf“ dazuzugeben. Wenn ich feststelle, dass ich in sozialen Medien oder anderswo auf einen Beitrag emotional reagiere, spüre ich erst in mir hinein, nehme wahr, was da gerade hoch kocht und kümmere mich um diese Emotion.
Erst wenn ich sie wahrgenommen und integriert habe, antworte ich auf den Beitrag. Falls ich dann immer noch den Wunsch habe, dies zu tun. Vieles kann ich dann sogar unkommentiert so stehen lassen. Dazu ist es manchmal hilfreich, erst einmal eine Nacht drüber zu schlafen und am nächsten Tag zu antworten. Das wirkt enorm deeskalierend und kann ich deshalb wärmstens empfehlen.
Keiner von uns ist auch gezwungen, immer und sofort auf alles zu reagieren. Das ist genauso mit den Anrufen auf dem Handy. Da gibt es Menschen, die immer und sofort ein Gespräch annehmen oder die eingehende Nachricht sofort lesen bzw. sogar antworten müssen. Auch wenn sie gerade an der Kasse stehen und bezahlen wollen.
Aus meiner Sicht geht auch die Welt nicht unter, wenn wir nicht immer gleich reagieren. Und der oder diejenige, wird sich von uns bestimmt nicht sofort trennen, wenn wir zehn Minuten später zurückrufen oder antworten.
Außerdem scheint mir, dass einige Menschen das Leben viel zu ernst nehmen und keinen Spaß mehr verstehen. Es gibt Witze, Komik und Satire. Diese sind dafür da, um uns einen wertvollen Spiegel vorzuhalten, damit wir in ihm unsere Schattenseiten besser erkennen können. Im Mittelalter war der Hofnarr derjenige, welche dem Herrscher seine Meinung sagen durfte. Den Hofnarren zu spielen ist aber auch mutig gewesen, denn man wusste trotzdem nie, ob man für die eigene Äußerung nicht doch gehängt werden würde.
Deshalb wünsche ich mir, dass mehr Menschen die Kommunikation miteinander mit mehr Leichtigkeit und Offenheit führen und nicht jeden, der eine konträre Meinung äußert, gleich am nächsten Baum aufhängen möchten. Satire muss auch weiterhin zu allen Themen der Gesellschaft möglich sein. Sie in richtige oder falsche Satire einzuordnen ist kontraproduktiv und verhindert die Kreativität, welche die Gesellschaft benötigt, um sich weiterzuentwickeln.
Das Leben kann so schön sein, warum machen wir es uns oftmals so schwer? Mein Lebensmotto lautet „Leben und leben lassen“. Warum können wir dann das, was gesagt wird, nicht einfach mal so stehen lassen? Da bricht uns bestimmt kein Zacken aus der Krone. Don’t worry – be happy!
O.K., das hilft uns sicherlich nicht weiter, wenn wir gerade mitten drin stecken, wenn die Wut in uns hoch kocht, wenn alles schlecht ist, kein Mensch uns leiden kann und wenn wir ständig Pech im Leben haben. In einer solchen Situation ist es dann sicherlich nicht leicht, eine positivere Lebenseinstellung zu erlangen.
Ich versuche dann mehrmals tief durchzuatmen, sich anschauen, welche Gedanken gerade so durch den Kopf schwirren, diese loszulassen und den Atem frei fließen zu lassen. Meistens hilft es auch, eine entspannende Musik zu hören oder einen Spaziergang in der Natur machen. Dabei kann man auf andere Gedanken kommen und tut sich selbst etwas Gutes.
Es ist auch hilfreich zu schauen, was wir wirklich ändern können und was nicht. Es gibt nämlich vieles gerade in der großen Politik, worauf wir im Moment keinen wirklichen Einfluss haben. In solchen Situationen gibt es zwei Möglichkeiten: entweder ich lasse es los und höre auf zu schimpfen oder ich werde aktiv und versuche konstruktiv wenigstens etwas im Kleinen zu bewegen.
Stellen wir fest, dass wir nichts ändern können, was lohnt es sich dann sich ständig darüber aufzuregen? Außer einem Magengeschwür bringt uns dies nicht wirklich etwas. Deshalb auch hier meine Anregung, andere so leben zu lassen, wie sie leben. Es ist schließlich ihr Leben und möglicherweise haben wir genug damit zu tun, unser eigenes Leben auf die Reihe zu bekommen.
Also treffen wir doch eine Absprache mit Gott oder dem Universum: ich lasse andere ihr Leben leben und damit lassen sie auch mich mein Leben leben. Wenn wir uns wahrhaftig daran halten, wird sich das göttliche Universum auch darum kümmern, dass man uns auch in Ruhe leben lässt.
Gott oder das Universum möchten nämlich, dass es uns gut geht und jeder von uns ein erfülltes, glückliches und zufriedenes Leben lebt. Das ist deren tiefster Wunsch oder die höchste Absicht. Warum ist das so? Weil wir alle bedingungslos geliebt werden, ganz gleich, wer wir sind, woher wir kommen und was wir bisher in unserem Leben getan haben.